Wie wahr ist unsere Wahrnehmung?

– Von der Schwierigkeit „die gleiche Sprache“ zu sprechen –

In diesem Text beschreibe ich wie durch bewusstes Achten auf „Wahrnehmungskanäle“ eine positive(re) Stimmung in einem Gespräch unterstützt werden kann. Der Text enthält Beispiele und Übungsanregungen.

Trotzdem wir uns im gleichen Raum bewegen nehmen wir unsere Umwelt sehr unterschiedlich wahr und Beschreibungen des gleichen Sachverhalts können sehr unterschiedlich ausfallen – ein Phänomen, das nicht nur Kriminalisten beschäftigt. Woran liegt das und welche Bedeutung hat das für den täglichen Umgang miteinander

Jeder Mensch reagiert auf seine Abbildung der Realität – nicht auf die Realität selbst. Er/Sie nimmt die Welt auf seine individuelle Weise wahr, verarbeitet die Wahrnehmung nach einem persönlichen System und drückt seine Erfahrung auf eine ihm eigene Art und Weise aus. So kann es geschehen, dass ein Ereignis – von zwei Beobachtern geschildert – sich völlig unterschiedlich darbietet.

Wahrnehmung geschieht mit Hilfe unserer fünf Sinne bzw. organisieren, strukturieren und kodieren Menschen ihre Erfahrungen nach verschiedenen sensorischen Systemen: visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch (VAKOG).

Menschen mit ähnlichem Filter- und Wahrnehmungssystem werden sich demgemäß verstehen, während allein unterschiedlich dominante Wahrnehmungsebenen zu Kommunikationsstörungen und Unverständnis führen (können).

Hilfreich ist es, sich des eigenen bevorzugten Sinneskanals bewusst zu werden. Sind Sie eher visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch orientiert?

Hinweise hierzu gibt die Wortwahl. Hier Beispiele:

  • Der visuelle Typ tendiert dazu etwas zu sehen „… das sieht gut aus…“
  • Der auditive Typ spricht eher davon „…das klingt gut…“ 
  • Der Kinästhetische findet „…das fühlt sich gut an…“
  • Der Olfaktorische spricht davon, „dass stinkt mir…“
  • Dem Gustatorischen fällt auf, „ … mit dem ist nicht gut Kirschen essen…“

Nun geht es hierbei nicht darum etwas zu „verwissenschaftlichen“ oder Sprache zu sezieren. Wenn Ihnen jedoch in einem Gespräch auffällt, dass Ihr Gegenüber häufiger Begriffe benutzt die einem Kanal zuzuordnen sind dann verbessert es die Kommunikation diese Begrifflichkeiten aufzugreifen und entsprechend zu antworten.

Wenn also „etwas gut aussieht“ ist es passender in der visuellen Sprache zu antworten also z.B. „eine ergänzende Sicht der Dinge …“  anzubieten, statt zu fragen „fühlt es sich besser an, wenn…“. Die Konversation wird so geschmeidiger.

Auch die Augenstellung gibt Hinweise auf den sinnesspezifischen Zugangskanal Ihres Gegenübers.

Hier Beispiele auch dazu:

Bei einer Zeugenaussage vor Gericht beschreiben drei Zeugen, wie sie eine Situation erlebt haben. Alle Zeugen erlebten dieselbe Situation, speicherten die Information jedoch in unterschiedlichen Wahrnehmungssystemen:

•         Der visuelle Typ blickt häufig nach oben links und spricht über das, was er gesehen hat:

„Ich sah ihn vorsichtig durch die Tür kommen. Er trug einen schwarzen Mantel und eine dunkelgrüne Hose. Dann sah ich, wie er eine große Pistole aus einem Lederkoffer holte. Er zeigte mit der Waffe in die Luft und hatte dabei einen Furcht erregenden Gesichtsausdruck. Obwohl er die Augen zusammenkniff, sah ich ein kaltes Flackern in seinen Pupillen.“

•         Der auditive Typ blickt oft nach links außen, während er sich erinnert. Er berichtet davon, was er gehört hat:

„Ich sprach gerade an der Kasse mit der Kassiererin. Plötzlich hörte ich einen ohrenbetäubenden Knall. Dann sagte jemand mit einer heiseren Stimme: Hände hoch! Zuerst sprach er ganz kontrolliert, doch dann brülle er durch den Raum, er würde mit seinem Ballermann alle abknallen, wenn einer nur einen Mucks von sich gäbe.“

•         Der kinästhetische Typ blickt oft nach unten rechts, fühlt in sich hinein und unterstreicht seine Aussagen mit den Händen:

„Er drehte sich plötzlich um, machte eine ruckartige Bewegung und zog eine Pistole. Er fuchtelte damit herum und schoss dann nach oben. Ich fühlte wie mir das Herz in die Hose rutschte, mir wurde heiß und kalt zugleich. Der Mann bedrohte uns wirklich mit seiner schweren Waffe. Er hatte seinen Finger am Abzug und wirkte sehr verkrampft. Die Atmosphäre war bis zum Zerreißen gespannt. Ich erstarrte zu Stein. Keiner im Raum durfte sich bewegen.“

Hier weitere Sprachmuster der Wahrnehmungssysteme:

Visuelle Sprachformen

einleuchtend, offensichtlich, klar, Überblick, Ansicht, Perspektive, etwas in einem anderen Licht sehen, scheinheilig, strahlend, weit blickend, Focus, ersichtlich, erhellend, mir geht ein Licht auf, Durchblick haben, Einsicht, Vision, hellsichtig, geblendet sein, verschwommene Aussagen, glänzend usw.

Auditive Sprachformen

harmonisch, es stimmt, Dissonanzen haben, verstimmt sein, spruchreif, das hört sich gut an, klangvoll, einem den Marsch blasen, unerhört, im Brustton der Überzeugung, eine rauschende Ballnacht, lauthals verkünden, nennenswert, Donnerwetter, spruchreif, der Stimme der Natur folgen, usw.

Kinästhetische Sprachformen

begreifen, schwerfällig, leichtsinnig, etwas erfassen, das ist tragbar, lass den Kopf nicht hängen, Kopf hoch, ergreifend, das ist für mich fassbar, einschneidend, prickelnd, Belastung, Erleichterung, beherzt, etwas an den Nagel hängen, anziehend, niedergeschlagen, wohltuend, usw.

Olfaktorische, gustatorische Sprachformen

dufte, Gefahr wittern, das stinkt mir, jemanden nicht riechen können, süß sein, bitterer Nachgeschmack, da liegt was in der Luft, etwa wittern, geschmackvoll, scharfsinnig, blumig, Bitterkeit, sauer sein, verduften, Honigmund usw.

Wie schon geschrieben geht es nicht darum etwas zu „verwissenschaftlichen“ und viele Menschen sprechen eine Mischsprache die eine Zuordnung auf einzelne Kanäle nur schwer zulässt. Bevorzugte Sprachformen aufzugreifen und dann auch anzubieten hilft die Kommunikation zu verbessern, Missverständnisse zu vermeiden und bringt eine positive Stimmung in das Gespräch – und dass ist es doch wert diese Erkenntnisse einfach einmal auszuprobieren.

Für diejenigen die Lust bekommen haben auszuprobieren welcher Sinneskanal am ausgeprägtesten ist, hier ein Übungsblatt.

Vorgehensweise: Bitten Sie jemanden Ihnen die Begriffe auf dem Übungsblatt vorzulesen damit Sie dann (bitte ohne nachzudenken) antworten was Sie mit dem Begriff assoziieren: sehen, hören, spüren, riechen, schmecken.

Und wenn Sie einen Schritt weiter gehen wollen bieten Sie Ihrem Gegenüber an die Übung ebenfalls zu machen. Oft ist es überraschend wie unterschiedlich (vielleicht auch ähnlich) die Wahrnehmung ist – bis hin zu der verblüfften Feststellung: „Ich wusste gar nicht dass man Mathematik spüren kann“.

ich sehe – ich höre – ich spüre – ich schmecke – ich rieche

frisches Brot     
Kerze     
Sonnenuntergang     
Autobahn     
Telefon     
Mozart     
Tauben     
Sonntag     
Pferd     
Rose     
Alufolie     
Dämmerung     
Wäscherei     
Schule     
Zahnpasta     
Theater     
Weihnachten     
Spargel     
Strand     
Holzhacken     
Frau     
Kaffee     
Meer     
Flieder     
Mann     
Flugzeug     
Kind     
Ferien     
Katze     
Seife     
Wasserfall     
Morgendämmerung     
Hund     
Mathematik     
Butter     
Zigaretten     
Stuhl     
Schnee     
Übungsblatt

Viel Spaß beim Ausprobieren und Experimentieren wünsche ich Ihnen und wenn Sie Interesse daran haben mehr über Kommunikationsstile, Kommunikationsförderer und Kommunikationshindernisse zu erfahren freue ich mich darauf von Ihnen zu hören.

Ihre,

Ingrid Gartner-Steffen

„Im Interesse der Lesbarkeit verzichte ich auf geschlechtsbezogene Formulierungen. Selbstverständlich sind immer Frauen und Männer und Diverse gemeint, auch wenn explizit nur ein Geschlecht angesprochen wird.“

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: